[ano hito] Umeko Tsuda, Pädagogin
ano hito (dt. jene Person) ist eine kleine Reihe, in der ich eine(n) Japaner(in), dessen/deren Biografie/Werke/etc. ich interessant finde, ein wenig näher vorstellen möchte. Auch Nichtjapaner, die einen besonderen Bezug zu Japan haben, werden ebenfalls vorgestellt. ^_____^
Umeko Tsuda (1864-1929)
Sie war erst sechs Jahre alt, als sie im Rahmen einer Mission, den Westen zu kennenlernen, gemeinsam mit vier anderen Mädchen über den stillen Ozean in den Staaten reiste, um dort zur Schule zu gehen.Am 31. Dezember 1864 kam Umeko Tsuda unter dem Namen Mume Tsuda in Edo (heute Tokio) zur Welt. Ihr Vater war Sen Tsuda, ein progressiv gerichteter Landwirt, der sich stark für die Westernisierung Japans nach der Öffnung des Landes 1853 einsetzte. Bei einem Projekt über die Besiedlung Hokkaidos traf er Kiyotaki Kuroda, einem spätereren Premierminister Japans, und sprach mit ihm über die Wichtigkeit westlicher Bildung in Japan sowohl für Jungen als auch für Mädchen. Dieser unterstützte ein Projekt, das als Iwakura-Mission bekannt ist, und Sen Tsudas Tochter Mume (die inzwischen als Ume bekannt ist) sollte ein Teil davon weden.Die Iwakura-Mission unter der Leitung des japanischen Politikers Tomomi Iwakura war eine Gruppe aus Politikern, Gelehrten und Studenten, die nach Amerika und Europa reisten, um die Länder zu kennen lernen und Informationen bezüglich Politik, Gesellschaft sowie Technologie zu sammeln. Darunter ihnen waren ebenfalls fünf Mädchen, die für zehn Jahre in den Staaten zurückgelassen wurden, um dort ihre Schulbildung zu erhalten: Ryōko Yoshimasu (14), Teiko Ueda (14), Sutematsu Yamakawa (11), Shigeko Nagai (9) und Ume Tsuda (6). Man verband mit ihnen die Hoffnung, dass im Westen ausgebildete Frauen Japan bei der Modernisierung helfen könnten und dadurch ein Vorbild für Frauen und Mädchen sein könnten.
Die Schifffahrt über die Pazifik verlief schwierig. Die Mädchen waren ein Monat lang in einer kleinen Kabine eingepfercht und Ryōko wurde von einem Teilnehmer der Mission vergewaltigt.
von links nach rechts: Shigeko Nagai, Teiko Ueda, Ryōko Yoshimasu, Ume Tsuda, Sutematsu Yamakawa (Foto: ca. 1872) |
Im November 1871 kamen die Mädchen in San Fransisco an. Zu Beginn lebten die Mädchen noch gemeinsam, aber ihre Gouvernanten fanden, dass sie viel zu häufig unter sich waren, was dem Erlernen der englischen Sprache sowie der Integration in die amerikanische Kultur hinderlich war. Sie wurden getrennt und in verschiedenen Städten an der Ostküste untergebracht. Ume kam bei der Familie Lanman in Washington D.C. unter, wo sie von dem kinderlosen Ehepaar liebevoll wie eine eigene Tochter behandelt wurde.
Ume besuchte das Georgetown Collegiate Institute, wo sie rasch die englische Sprache erlernte. Bald war sie so gut in die amerikanische Kultur integriert, dass sie ihre Muttersprache beinahe verlernte und sich als Protestantin taufen ließ. Mit ihrer Familie in Japan führte sie eine Briefkorrespondenz in englischer Sprache, da ihr Vater Englisch konnte. Sie war eine gute Schülerin, die in vielen Fächern brillieren konnte. Sie lernte ebenfalls Französisch und Latein. Mit 18 Jahren machte sie ihren High School-Abschluss am Arthur Institute. 1882 war sie verpflichtet, gemeinsam mit Sutematsu Yamakawa nach Japan zurückzukehren.
In Japan angekommen, hatte Ume nicht nur Schwierigkeiten mit der japanischen Sprache, sondern auch mit der Anpassung an die japanische Kultur, besonders mit der untergestellten Position der Frau. In den zehn Jahren, die Ume und die anderen Mädchen in den Staaten verbracht hatten, hatte es in Japan einige politische Unruhen gegeben und die Regierung hatte inzwischen eine anti-westliche Haltung eingenommen, was auch bedeutete, dass man sich von den Vorstellungen einer im Westen ausgebildeten Frau als ideales Vorbild verabschiedet hatte. Ume konnte daher nicht auf die Unterstützung der Regierung bei der Suche nach Arbeit zählen und selbst ihr Vater, der sich für eine radikale Westernisierung ausgesprochen hatte, verhielt sich wie ein traditioneller Patriarch. Der Politiker Hirobumi Itō, der 1885 der erste japanische Premierminister wird, engagierte Ume als Privatlehrerin für seine Kinder. Er konnte ihr später eine Stelle als Lehrerin an einer Mädchenschule für Töchter der höheren Gesellschaft vermitteln. Sie war jedoch unzufrieden über die Tatsache, dass Mädchen nur darauf ausgebildet werden, gute Ehefrauen zu werden und träumte davon, ihre eigene Schule zu eröffnen, in der jedes Mädchen die gleiche Bildung erhalten würde wie Jungen.
1888 kehrte sie in die USA zurück, um am Bryn Mawr College in Philadelphia Biologie sowie Pädagogie zu studieren. Dort bestätigte sich ihr Erkenntnis, dass amerikanische Frauen viel gebildeter und unabhängiger als die japanischen Frauen waren und sie warb dafür, dass japanische Frauen die Möglichkeit bekommen sollten, im Westen zu studieren. Sie konnte so viele Spenden sammeln, dass ein Stipendienprogramm für japanische Frauen errichtet werden konnte.
Nach ihrem erfolgreichen Abschluss kehrte sie in ihre Heimat zurück, wo sie öffentliche Reden hielt und einige Artikel darüber, wie wichtig es ist, die Bildung für Mädchen und Frauen zu verbessern, veröffentlichte. Ein neues Gesetz aus dem Jahr 1899 verpflichtete schließlich alle Präfekturen Japans, wenigstens über eine öffentliche Mittelschule für Mädchen zu verfügen. Ume war jedoch auch nicht damit zufrieden, da die Unterrichtsqualität an den Mädchenschulen viel niedriger als in den Jungenschulen waren.
1900 konnte sie sich endlich ihren Traum erfüllen und als Zeichen ihrer Entschlossenheit änderte sie ihren Namen in Umeko um. Sie eröffnete in Tokio eine Privatschule für englische Studien (Joshi Eigaku Juku) für Frauen. Am Anfang gab es nur vier Lehrkräfte, die insgesamt fünfzehn Schülerinnen auf den Beruf der Englischlehrerin vorbereiteten. Man schärfte allen ein, nach außen sich wie „richtige Japanerinnen“ zu verhalten, damit die wahre Natur der Schule nicht bekannt wurde: nämlich, dass es eine Schule war, in der Frauen öffentlich ihre Meinung aussprechen konnten und auch mit ihren Lehrerinnen diskutieren konnten, wenn etwas ihnen nicht passte. Die Schule hatte mit Geldproblemen zu kämpfen, aber Umeko Tsuda warb hartnäckig um Spenden und die Zahl der Schülerinnen wuchs von Jahr zu Jahr.
Umeko Tsuda (sitzend, 4. von rechts) umgeben von ihren Schülerinnen (Foto: 1907) |
Umeko Tsuda starb am 16. August 1929 im Alter von 64 Jahren nach längerer Krankheit. Sie war nie verheiratet gewesen, da ihr ihre eigene Unabhängigkeit wichtig war. Auch wenn sie viel für die Bildungschancen von Mädchen getan hat, schloss sie sich allerdings keiner Frauenrechtsbewegung an, da ihre Ziele zu unterschiedlich waren. Umeko Tsuda wollte gut ausgebildete, kreative Frauen hervorbringen, die als Englischlehrerin in einem gesellschaftlich akzeptierten Beruf wirtschaftlich unabhängig sein konnten. Sie fürchtete, die radikalen Forderungen der Frauenrechtlern könnten dazu führen, dass gebildete Frauen in der Gesellschaft diskriminiert werden, was sie als Gefährdung ihres eigenen Ziels sah.
Ihre Schule wurde nach ihrem Tod später als Tsuda-Privatuniversität (Tsuda Juku Daigaku) umbenannt. Heute ist sie als eine der ältesten und prestigeträchtigen Frauenuniversitäten Japans bekannt.
Und… was wurde eigentlich aus den anderen Mädchen der Iwakura-Mission?
Die beiden Ältesten, Ryōko Yoshimasu und Teiko Ueda, verließen die Staaten bereits nach einem Jahr. Ryōko hatte sich eine schwere Augenkrankheit zugezogen und Teiko litt unter starkem Heimweh. Über den weiteren Verbleib der beiden ist nichts bekannt, außer dass Ryōko wohl jung verstorben ist.
Sutematsu Yamakawa war die erste Japanerin mit einem Hochschulabschluss, den sie am Vassar College erhielt. Bei der Rückkehr in Japan fiel es ihr schwer, Arbeit als Lehrerin zu finden, da sie zwar Japanisch sprach, aber keine Schriftzeichen lesen konnte. 1883 heiratete sie den 42jährigen Generalfeldmarschall Iwao Oyama, der bereits Vater von drei Kindern war. Sutematsu, die nun ein Mitglied der höheren Gesellschaft war, beriet die Kaiserin in westlichen Themen und warb bei den anderen Frauen dafür, ein Ehrenamt als Krankenschwester zu anstreben und sich für die Schwächeren der Gesellschaft zu einsetzen. Sie warb für mehr Bildung für Mädchen und Frauen und gehörte zu den Mitgründerinnen der Schule von Umeko Tsuda. 1919 starb sie an der Spanischen Grippe.
von links nach rechts: Umeko Tsuda, Alice Mabel Bacon, Shigeko Nagai und Sutematsu Yamakawa (Foto: 1901) Alice Mabel Bacon ist eine gemeinsame Freundin aus US-Zeiten, die auch als Englischlehrerin in Japan arbeitete. |
Shigeko Nagai besuchte nach ihrem High School-Abschluss ebenfalls das Vassar College, wo sie drei Jahre lang Musik studierte. In New Haven, wo ihre Gastfamilie lebte, lernte sie den jungen Baron Sotokichi Uriu, der an der U.S. Navy Academy in Annapolis studierte, kennen. Sie verliebten sich und kehrten 1881 gemeinsam nach dessen Abschluss nach Japan zurück, wo sie ein Jahr später heirateten. Sie war eine der ersten Lehrerinnen, die in Japan westliche Musik unterrichtete und sie gehörte schließlich zum Lehrkörper der renommierten Tokioter Musikhochschule, als 1884 westliche Musik in den Lehrplan aufgenommen wurde. Auch als Baronin setzte sie sich für mehr Bildungschancen für Mädchen ein. Sie starb 1928.
Ich habe bis vor kurzem noch nie von dieser Mission gehört und fand das ziemlich interessant. Auch wenn die drei Frauen von der Regierung keine Unterstützung bekommen haben, so haben sie es alle geschafft, aus eigener Kraft ein Teil der japanischen Modernisierung zu werden.
Habt ihr schon mal von Umeko Tsuda oder von der Iwakura-Mission gehört? ^__^
Moshi moshi, Hotaru.Im Grunde ist es ein beängstigender Gedanke, Kinder zwischen 6 & 14 allein in die völlige Fremde zu verschicken. "Lerne schwimmen oder gehe unter" erscheint mir nicht gerade eine ideale Handungsmaxime zu sein. Und wieder ein Fall von Vergewaltigung an einer Schutzbefohlenen…Offensichtlich hatten die Verantwortlichen der Iwakura-Mission auch kein sonderliches Konzept hinter ihren Anliegen der Öffnung Japans. Was sich auch bei der "Rückkehr" der Frauen zeitigt. Ein wenig befremdlich erscheint mir die Einstellung der älteren Umeko Tsuda, dass gebildete Frauen durch die Frauenrechtsbewegung diskriminiert werden könnten; sie musste in der japanischen Gesellschaft ja auch einEn langwierigen Kampf ausfechten.bonté
Ja, Umeko Tsudas Einstellung zur Frauenrechtsbewegung wird auch von Feministinnen kritisiert. Mein Eindruck ist, dass sie eine Frau war, die es für richtig hielt, den Weg des geringsten Widerstands zu gehen, um ihr Ziel zu erreichen.
…ich sollte noch anmerken, daß Du erneut einen interessierenden Blick, hinein ins neu-historische Japan, zusammengestellt hast. Kudos!Die junge Anime-Dame (tweet) von Gestern versprüht einen sehr fröhlichen Charme; Du dürftest demnach ausgesprochen wohlgelaunt gewesen sein. :-)bonté
Vielen Dank für deine lieben Worte. 🙂